Die EU macht den Green Deal. Bis 2050 soll Europa als erster Kontinent klimaneutral sein. Aber wer soll das bezahlen? Mehr als 500 Mrd. Euro werden jährlich an liquiden Mitteln gebraucht, von Privatwirtschaft und Institutionen. Staaten werden auch investieren, damit allerdings ihre Haushalte belasten. Mehr Spielraum wird gefordert, mit einer Schuldenobergrenze von 60 Prozent des BIP (Maastrichter Kriterien) wird das schwierig.
Die durchschnittliche Verschuldung in der EU beträgt momentan knapp 100 Prozent. Über eine Lockerung der Schuldenregel wird diskutiert – nordische Länder wie Dänemark oder Schweden stellen sich dagegen, Frankreich und Italien begrüßen das. Nicht ohne Grund breiten sich deshalb Inflationssorgen aus.
Die gestiegenen Kosten für Energie und Sprit belasten die Bürger. „Der Preisschub ist die erste große Hürde auf dem Weg in eine klimaneutrale Wirtschaft. Wir sollten gefährdete Haushalte schützen und unsere nationalen Maßnahmen europäisch und global koordinieren“, sagt Paolo Gentiloni, Währungskommissar und Mitglied der EU-Kommission in einem Interview mit dem Handelsblatt.
Um nachhaltige Geschäfte voranzutreiben, wird eine Menge Kapital benötigt. Die Finanzbranche stellt diese Mittel zur Verfügung – unter Bedingungen: Die sogenannten ESG-Kriterien stehen jetzt ganz oben auf der Agenda. Die drei Buchstaben stehen für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Kredite und Investitionen fließen nur noch an Firmen, die sich an diese ökologischen und ethischen Werte orientieren. Sie sollen ein besonderes Augenmerk auf Umweltschutz legen, Schulen oder Solarparks bauen und in soziale Projekte investieren. Für Rüstungsgeschäfte, Kohleenergie oder Massentierhaltung gibt es kein Geld.
Das Konzept wird immer beliebter: ESG-Assets haben in den letzten fünf Jahren Wachstumsraten von 30 Prozent verzeichnen können. Nachhaltige Fonds verwalten immer mehr Geld, Tendenz steigend. Die Kreditvergabe, die an ESG-Kriterien gebunden sind, betrifft mittlerweile sogar Mittelständler. Von 2017 bis 2019 ist dieses Volumen um 400 Prozent gestiegen. Die staatliche Förderbank KfW will nur noch in Projekte finanzieren, die mit dem Pariser Klimaabkommen kompatibel sind.
Zum Green Deal gehört auch die EU-Taxonomie. Diese Verordnung klassifiziert wirtschaftliche Investitionen nach ihrer Nachhaltigkeit, gute Konditionen gibt es nur noch bei besonders grünen Projekten. Die Kreditgeber wollen wirkungsorientiertes Investieren (Impact-Investing): Das Ausschließen schlechter Branchen reicht nicht aus, es braucht aktive Unterstützung der Branchen, die einen positiven Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft haben.
Damit sind massive Maßnahmen in
der Wirtschaft verbunden. Großbritannien macht es vor: Kurz vor dem Klimagipfel
in Glasgow hat die Regierung von Boris Johnson die Netto-Null-Strategie
vorgestellt. Das Ziel: bis 2050 Nettoemissionen auf null. Dabei sollen mit
Förderungen von rund 620 Millionen Pfund (ca. 735 Millionen Euro) die Haushalte
unterstützt werden – Elektroautos, Ladesäulen, Wärmepumpen. Vor allem sollen
erneuerbare Energien gefördert werden, mit technologischen Erfindungen.
Die neue CCS-Technik (Carbon-Capture-Storage) kann Kohlendioxid unter die Erde pressen und dort lagern. Erste Projekte gibt es bereits im Nordosten Englands bei Middlesborough, an denen mehrere europäische Energiekonzerne beteiligt sind. Auch die Kernkraft ist Teil der Lösung: 120 Millionen Pfund (ca. 140 Millionen Euro) für die Entwicklung von modularen Nuklearreaktoren werden bereitgestellt. Energieminister Greg Hands verspricht, dass durch den Umwelt-Umbau der britischen Wirtschaft bis zu 400.000 neue Arbeitsplätze in zehn Jahren entstehen können.
Die neue Bundesregierung möchte laut Ampel-Sondierungspapier jedes Jahr Klima-Zwischenziele setzen, bei Nichterreichen dieser wird mit einem Sofortprogramm reagiert. Vor der sogenannten „Planbarkeitsillusion“ warnen bereits Fachleute. „Es kommt beim Klimaschutz nicht darauf an, um jeden Preis jedes Jahresziel eines Sektors zu erreichen, sondern das Gesamtziel“, sagt Hubertus Bardt, Geschäftsführer des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).
Man würde viel Geld verschwenden, um Jahresziele einzuhalten, während in den kommenden Jahren möglicherweise schon klimaneutrale Technologien auf den Markt kommen. Das sei ineffizient. Die Politik müsse konkreter werden. Man könnte beginnen, klimaschädliche Subventionen zu streichen – da gibt es zum Beispiel das Dieselprivileg und die Kerosin-Steuerbefreiung.
Klimaschutz lässt sich nicht nur mit gutem Willen und viel Geld erreichen. Man stößt an praktische Grenzen. Im Gebäudesektor fehlen Handwerker, in der Industrie die Rohstoffe. Man muss bei den einfachen Dingen anfangen: Zum Klimagipfel „COP26“ in Glasgow reisen die Präsidenten Jair Bolsonaro (Brasilien) und Xi Jinping (China) nicht an.