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Krieg in der Ukraine

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14.03.2022

Auswirkungen für die Welt, die Wirtschaft und unser Leben: Klare Statements von Prof. Dr. Nicole Deitelhoff und Dr. Michael Holstein beim MoneyTalk Spezial

Autor: Matthias Otte, Frankfurt am Main

„Der Krieg hat nicht zufällig begonnen, der Zeitpunkt war nicht zufällig. Putin hat diesen Krieg von langer Hand geplant“, stellte Prof. Dr. Deitelhoff, Leiterin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, von Beginn an klar. Doch Putin habe sich verzockt – und listete gleich drei Irrtümer des russischen Machthabers auf: Militärisch habe er die Fähigkeit der eigenen Streitkräfte überschätzt und nicht mit der erbitterten Gegenwehr der ukrainischen Kräfte gerechnet. Auf politischer Ebene sei er von der Entschlossenheit des Westens überrascht worden, zumal die westliche Welt noch beim Abzug aus Afghanistan ein schwächliches Bild abgegeben habe. Auch mit Blick auf die ökonomischen Auswirkungen sei Putin durch die Härte der Sanktionen, insbesondere gegen die russische Zentralbank, kalt erwischt worden. Die Konsequenz: Der russische Feldzug, ursprünglich auf drei bis fünf Tage ausgelegt, dauere viel länger als geplant. Deshalb müsse Putin, der weiterhin rational handle, seine Vorgehensweise anpassen. Deitelhoff sprach von einer „Brutalisierung der Kriegstaktik“, die den Angriff ziviler Ziele bewusst einschließe. Putin glaube zudem, dass er jetzt zumindest Gesprächsbereitschaft signalisieren müsse. Ernsthaft bereit sei er dafür jedoch noch nicht. Dennoch, es sei „Bewegung drin“, so Deitelhoff. Mit jedem Tag, den der Konflikt andauere, werde die Bereitschaft zu ernst gemeinten Verhandlungen steigen, da die Kosten der Invasion in die Höhe schnellten. Zugleich steige der Blutzoll.

Die langfristigen Folgen des Krieges werden sich vor allem negativ auf die russische Wirtschaft auswirken. Diese leide enorm unter den Sanktionen und könne sich nicht mehr modernisieren, weil ihr der Zugang zu den wesentlichen Ressourcen und Technologien fehle. Um sich zu refinanzieren, müsse Russland immer stärker auf China zurückgreifen. Doch das Land der Mitte habe keinerlei Ambitionen, auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln, sondern diktiere einseitig die Bedingungen.

Die deutsche Ostpolitik der vergangenen Jahrzehnte ist angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen in ein zuletzt kritisches Licht gerückt worden. Zu Unrecht, meint die Politikwissenschaftlerin.

„Hätten wir Russland von Anfang an, mit dem Zusammenbruch des Ostblocks, als Gegner bezeichnet oder auch behandelt, dann wären wir heute auch kein wiedervereinigtes Deutschland. Die Wiedervereinigung ist das Ergebnis der Bemühungen, eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur in Europa aufzubauen“, verdeutlichte Deitelhoff. Wegen nur einer „Figur“ zu sagen, es wäre naiv gewesen, in all den Jahren auf Verhandlungen und Diplomatie zu setzen, halte sie für „völlig verfehlt“.

Dr. Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ BANK AG, skizzierte die Auswirkungen der geopolitischen Lage auf Wirtschaft und Kapitalmärkte. Der Anstieg der Öl- und Gaspreise beeinträchtige nicht nur die Kaufkraft der Verbraucher, sondern belaste ebenso die Kostensituation der Unternehmen. Steigende Energiekosten, insbesondere beim Gas, führten zu unrentablen Produktionsprozessen, die in Konsequenz dann abgeschaltet werden müssten, so der Experte.  

Insgesamt bestehe eine große Abhängigkeit von russischer Energie. Dies gelte besonders für die leitungsgebundene Gasversorgung. Zwar gebe es mit dem Flüssiggas eine Alternative. Doch diese könne kurzfristig die Lieferungen über russische Pipelines nicht kompensieren. Bei Öl und Kohle zeigte sich Holstein optimistischer. Hier seien weitere Anbieter am Weltmarkt präsent, die ihre Lieferkapazitäten entsprechend ausweiten könnten.

Der gesamte Außenhandel mit Russland mache, so Holstein, ungefähr zwei Prozent der deutschen Exporte aus. Dieser Anteil habe sich bereits durch die seit 2014 gegenüber Russland geltenden Sanktionen zurückgebildet. Insbesondere für den Maschinenbau, die Automobilindustrie sowie die Chemie- und Pharmabranche sei Russland ein wichtiger Absatzmarkt. Gleichzeitig importiert Deutschland neben Energie vor allem Nahrungsmittel sowie Rohstoffe (z.B. Metalle) zur Weiterverarbeitung in der industriellen Produktion.

Eine Inflationsrate von fünf Prozent im Jahresdurchschnitt sei für 2022 „durchaus realistisch“, prognostizierte Holstein. Diese Annahme basiere jedoch auf einem positiven Szenario für den weiteren Fortgang des Ukraine-Konflikts. Aktuell liege man höher, und dies werde sich zunächst auch weiter fortsetzen, erläuterte der Chefvolkswirt. Bei einer Waffenruhe in zwei bis drei Monaten rechne er mit einem Rückgang der Energiepreise. In der Folge würde dies die Inflationsrate wieder unter die Fünf-Prozentmarke drücken.

Viel diskutiert wird dieser Tage das mögliche Aufkommen von Stagflation – einer stagnierenden Wirtschaftsleistung bei gleichzeitiger Inflation. Diesem „Horrorszenario für Zentralbanker“ erteilte Holstein eine Absage: „Im Moment ist das Stagflations-Szenario kein Thema. Wir haben eine hohe Nachfrage.“ Die Auftragsbestände der deutschen Industrie seien auf Rekordniveau. Die privaten Haushalte hätten wegen der Corona-Pandemie noch hohe Liquidität: „Wenn die Restriktionen gelockert werden, haben wir zurückgestaute Nachfrage, die darauf wartet, befriedigt zu werden“, erläuterte Holstein.